Bürgisser, Leodegar (-18.11.1717) (Personen\St.Gallen, Äbte)

 

Grunddaten

ThesaurusPersonen
BezeichnungBürgisser, Leodegar
Beschreibung
QuelleRudolf HENGGELER, Professbuch der fürstlichen Benediktinerabtei der Heiligen Gallus und Otmar zu St.Gallen, Zug 1930 (Monasticon-Benedictinum Helvetiae 1).
 

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Todesdatum:18.11.1717
Biographie:Regierte vom 10. Januar 1696 bis zu seinem Tode, am 18. November 1717.

Am gleichen Tage, als Abt Cölestin abdankte, am 10. Januar 1696, wählte das Kapitel den bisherigen Dekan Leodegar Bürgisser zu dessen Nachfolger. Die Bestätigung in Rom verzögerte sich, weil vor allem noch finanzielle Angelegenheiten mit dem neuen Kardinal zu erledigen waren. Die Benediktion, die wegen des frühen Hinscheidens des Kardinals Sfondrati verschoben wurde, nahm der Bruder des st.gallischen Landeshofmeisters Rinck, der Weihbischof von Eichstätt war, am 4. November 1696 vor, was den Nuntius nicht wenig verdross. Aber schon hierin zeigte sich die Spartendenz des neuen Abtes. Die Regalien erhielt er erst am 13. Juni 1698.

Sein Vorgänger hatte Abt Leodegar ein einlässliches Regierungsprogramm hinterlassen, dessen Durchführung ihm sehr am Herzen lag. Gleich anfangs ermahnte er den Welt- und Ordensklerus seines Gebietes, das Volk zur alten Sitteneinfachheit und Frömmigkeit anzuhalten und bestehende Missbräuche abzuschaffen. Fast jedes Jahr berief er eine Reihe Geistlicher zusammen, gab ihnen Anweisungen für die Predigt und hielt selber fleissig Visitationen ab. Besondere Aufmerksamkeit wandte er der Ausbildung des Klerus zu. Er eröffnete darum auch die Schule in Rorschach von neuem, sah sich aber bald gezwungen, sie wieder eingehen zu lassen; doch eröffnete er dafür eine ähnliche Schule in Neu St.Johann. Er versuchte auch sein Gebiet von Konstanz ganz unabhängig zu machen, doch hinderten die politischen Vorgänge ihn an der Verfolgung dieses Zieles.

Seinem Volke suchte er ein wahrer Vater zu sein, wenn ihm dies auch oft schwer gemacht wurde. Der wachsenden Not, der Überhandnahme des Bettels suchte er nach Möglichkeit entgegenzusteuern. Besondere Sorge wandte er der genauen Führung der Protokolle zu und der Ordnung in den verschiedenen Archiven. Der Umstand, dass der Landweibel Josef Germann von Lichtensteig, ein etwas unruhiger Kopf, zahlreiche Dokumente über die alten Freiheiten des Landes abgeschrieben hatte, brachte diesen sieben Jahre lang hinter Schloss und Riegel. Im Toggenburg war der Abt bestrebt, dem katholischen Glauben durch Aufkauf von Grund und Boden von Seiten der Reformierten aufzuhelfen.

Bei all seinen Massnahmen trat eine oft nur zu grosse Sparsamkeit zu Tage; die Beamtenzahl wurde reduziert, unrentable Betriebe, wie die Buchdruckerei, wurden eingestellt. Er trug sich auch mit dem Gedanken, die Herrschaft Ebringen zu veräussern, liess aber dann doch davon ab. Doch lag ihm die Ausschmückung des Gotteshauses sehr am Herzen. Er liess u. a. bei Goldschmied Domeisen in Rapperswil die silbernen Brustbilder der Landespatrone Gallus und Otmar anfertigen. Auch neue Glocken liess er giessen.

Seinem Konvente gegenüber neigte er eher zur Strenge, wenn auch der klösterliche Geist durchaus gut war. Er erlebte 1696 die Genugtuung, dass P. Maurus Heidelberger, der 1681 abgefallen war, wieder zurückkehren wollte, und er erleichterte ihm diesen Schritt, auch unter finanziellen Opfern. Vielen, infolge des spanischen Erbfolgekrieges aus Süddeutschland vertriebenen Ordensleuten gewährte er in seinen Klöstern liebevolle Aufnahme. Die schweizerische Benediktinerkongregation, deren erster Visitator er war, feierte unter ihm 1702 in St.Gallen mit grösstem Glanze die Feier ihres hundertjährigen Bestehens.

Die Hauptsorgen des Abtes sollten aber fast durchgängig der Politik gelten. Schon bald nach Beginn seiner Regierung – noch ehe er die Benediktion empfangen hatte – brachen die ersten Unruhen aus. Anlässlich der üblichen Bittgänge im Mai 1696 kam es zum sogen. Kreuzkrieg. Das Stift beanspruchte das Recht, dass die Prozessionskreuze, wenn auch nicht auf einer Stange, so doch mit den Händen aufrecht durch die Stadt zur Klosterkirche getragen werden dürften. Die Stadt aber verlangte, dass sie auf den Arm niedergelegt werden müssten. Da wies nun die äbtische Regierung einige Pfarrer an, die Kreuze aufrecht vor sich her durch die Stadt zu tragen. Es kam darüber zu ärgerlichen Auftritten; die Teilnehmer an den Bittgängen mussten ohne die Kreuze heimkehren. Der Handel wurde so aufgebauscht, dass ein Krieg auszubrechen drohte; denn beiderseits rüstete man. Die vier Schirmorte griffen ein und verlangten beiderseits die Niederlegung der Waffen. Sodann entschieden sie, dass die Kreuze in Zukunft an einer, um den Hals gelegten, seidenen Schnur aufrecht vor sich her getragen werden sollten. Da man aber auf die Forderung des Stiftes, nach Schadloshaltung für die erwachsenen Kosten, nicht eintrat, griff die äbtische Regierung, deren Leitung immer noch Baron von Thurn in den Händen hatte, zu Repressalien. Schliesslich erreichte man auf der Tagsatzung mit Hilfe des französischen Gesandten – der sich so wieder St.Gallen zu nähern suchte – dass die Stadt dem Stifte 3800 fl. zu zahlen hatte. Dadurch stieg aber nur die Erbitterung in der Stadt, die sich zunächst unter dem Drucke Frankreichs fügen musste.

Frankreich bot alsbald alles auf, um Abt Leodegar auf seine Seite zu bringen. Nebst grossen jährlichen Pensionen sollte der Abt den hl. Geist-Orden erhalten. Aber Baron von Thurn wollte aus persönlichen Gründen von der kaiserlichen Politik nicht abgehen und drängte seinen Herrn zum Abschluss eines eigentlichen Bündnisses mit Kaiser Leopold I., dessen Zustandekommen (den 23. Juli 1702) in der Eidgenossenschaft, nicht zuletzt auch bei den katholischen Orten sehr befremdete. Diese Haltung sollte sich im kommenden Zwölferkrieg bitter rächen.

Auf einen neuen Konflikt in der Schweiz drängten damals viele Ursachen hin. Vor allem konnten Zürich und Bern nicht vergessen, dass sie 1656 den kürzern gezogen hatten. Schon mehrfach drohten kriegerische Auseinandersetzungen, doch gelang es jeweilen, den Riss, wenn auch nur notdürftig, zu flicken. Schliesslich sollten gerade die Vorgänge im Gebiete der Fürstabtei den Ausschlag geben. Im Toggenburg, wo es nie ganz ruhig wurde, setzten die Unruhen erneut 1699 ein. Damals machte sich Abt Leodegar auf das Drängen von Schwyz daran, den schon von Abt, Cölestin gefassten Plan eines Strassenbaus über den Ricken und Hummelwald ins Werk umzusetzen. Schwyz hatte bereits auf seinem Gebiete den Bau ausgeführt, als nun Abt Leodegar der Gemeinde Wattwil befahl, den Bau auf ihrem Boden zu übernehmen. Landweibel Germann stiftete sie aber unter Berufung auf angebliche alte Rechte auf, den Gehorsam zu verweigern. Auf dies hin versicherte sich zunächst der Abt der Hilfe der Schwyzer (30. Oktober 1700), dann schritt er strenge gegen die Ungehorsamen ein; Germann wurde gefangen gesetzt und erst 1708 auf Verwenden der Eidgenossen wieder freigegeben. Man fügte sich wohl äusserlich, während die innere Unzufriedenheit nur stieg, zumal Glarus und Zürich die Toggenburger schützten. Diese beiden Orte brachten die Klagen derselben vor eine Konferenz der reformierten Orte in Aarau (23. Januar 1702), wie auch vor die Tagsatzung, wo Thurn grosse Mühe hatte, seinen Herrn zu rechtfertigen. Das bald darauf folgende Bündnis mit dem Kaiser verdarb St.Gallen viele Sympathien. Schwyz selber stellte sich, unter dem Einfluss des Landvogtes Josef Anton Stadler, der früher in st.gallischen Diensten gestanden hatte, aber wegen Vergehen entlassen worden war, auf Seite der Glarner. Mit diesen forderte es auf den 5. Juni 1703 die Erneuerung des Landrechtes mit dem Toggenburg, die auch trotz des Protestes von Seite des Abtes erfolgte. Dieser gegen alles Herkommen vorgenommene Schritt befremdete den Abt sehr, aber seine Klage bei den Orten verhallte, da Zürich überall dagegen arbeitete. Schliesslich legten Zürich und Bern, ohne vom Abte dazu aufgefordert zu sein, diesem am 4. März 1707 sechs Vergleichsartikel vor, die ganz auf die Wünsche der Toggenburger eingestellt waren. Der Abt wies sie darum von der Hand. Da erhoben sich aber die Toggenburger und gaben sich am 23. März 1707 in einer Landsgemeinde zu Wattwil eine eigene Verfassung mit einem eigenen Landrat. Die Erklärung, dass das alles den landesherrlichen Rechten des Abtes unnachteilig sein sollte, war rein illusorisch. Bald verkündete der Landrat allgemeine Religionsfreiheit für die Reformierten. Diese Vorgänge mahnten nun die katholischen Orte, die bisher eine reservierte Haltung eingenommen hatten, zum Aufsehen, da das Treiben der Zürcher und Berner allzu klar zu Tage lag. Der Handel, der bisher mehr lokale Bedeutung hatte, erhielt nun eine mehr allgemeine. Der Abt ging die katholischen Orte um Hilfe an, die sich auch auf seine Seite stellten. Sogar Schwyz, wo der Einfluss Stadlers im Schwinden war – er wurde am 17. September 1708 enthauptet – trat wieder auf des Abtes Seite über. Schon drohte 1708 der Krieg auszubrechen, zu dem auch anderwärts neuer Zündstoff hinzukam. Noch einmal gelang es, ihn zu verhüten; einige katholische Gemeinden im Toggenburg kehrten wieder zum Gehorsam zurück. Aber die Wühlereien gegen das äbtische Regiment gingen vorwärts. Landweibel Germann, der wieder frei geworden war – freilich nur gegen Zusicherung ruhigen Verhaltens – reformierte Prediger und besonders der Zürcher Advokat Hans Ulrich Nahholz hetzten fortwährend im Toggenburg.

Der Abt hatte des Kaisers Hilfe angerufen und dieser nahm sich wenigstens auf diplomatischem Wege seiner an. Durch seinen Gesandten, Graf von Trauttmannsdorff, suchte er zu vermitteln. Auch die päpstlichen Nuntien Bicci und seit 1710 Caraccioli verwandten sich sehr zu des Abtes Gunsten, während Holland und England auf Seite der Reformierten standen. Der französische Gesandte nahm eine Mittelstellung ein und suchte nach beiden Seiten zu beruhigen, weil er diese Politik als die beste für Frankreich erachtete. So beschäftigte der Handel lange Zeit die Diplomaten. Da nahmen 1710 die Toggenburger die äbtischen Burgen Iberg, Lütisburg und Schwarzenbach weg und besetzten sie. Neue Klagen und Verhandlungen waren die Folge, bis am 20. Februar 1712 die Toggenburger endlich unter dem Einfluss des zürcherischen Kommissärs Nabholz zur offenen Empörung schritten, die äbtischen Güter mit Beschlag belegten und in die Klöster Magdenau und St.Johann Besatzungen brachten. Damit war der längst bevorstehende Krieg da. Am 13. April stellte sich Zürich durch ein Manifest offiziell auf Seite der Empörer, während die katholischen Orte am 24. April durch ein Gegenmanifest für den Abt Stellung nahmen. Bei dem Aufmarsch der beiden Parteien zeigte es sich freilich sogleich, dass es ihnen nicht so sehr um das Toggenburg, als vielmehr um die gemeinen Vogteien zu tun war, die den Katholiken entrissen werden sollten. Die Entscheidung fiel nach verschiedenen Zwischenfällen am 25. Juli 1712 bei Villmergen, und zwar zu Ungunsten der Katholiken. Am 11. August folgte der Friedensschluss zu Baden zwischen Zürich und Bern einerseits, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug anderseits. Darin wurden bezeichnenderweise die Streitfragen wegen dem Toggenburg nicht einmal berührt; sie sollten eigenen Verhandlungen vorbehalten werden. «Wie die katholischen Orte den Abt beim Ausbruch des Krieges im Stiche gelassen hatten, so gaben sie ihn jetzt völlig der Gnade der reformierten Sieger preis» (Dierauer).

Der Abt hatte zu Beginn des Krieges seine Hauptmacht (ca. 4000 Mann) nach dem Städtchen Wil geworfen, das sich aber am 22. Mai den Zürchern und Bernern ergeben musste. Als Abt Leodegar die Kunde von dieser Kapitulation hörte, floh er noch am nämlichen Tage von Rorschach, wo er sich aufgehalten hatte, nach Mehrerau und von dort nach der Stiftsbesitzung Neu-Ravensburg. Tags darauf mussten auch der grösste Teil des Konvents, die Beamten und Bedienten des Stiftes fliehen. Am 26. Mai zogen die Zürcher und Berner in das Kloster ein, das sie vollständig ausplünderten. Früchte, Vieh, 4000 Fuder Wein, Hausrat, Bibliothek und Archiv, die Apotheke, 24 Glocken, kurz fast alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde nach Zürich und Bern geschafft. Die Münsterkirche wurde geschlossen; auch das Kloster in Rorschach wurde besetzt. Im Stifte nahm ein zürcherischer Oberbeamter, in Wil ein bernischer seinen Sitz; die Landschaft wurde als erobertes Gebiet behandelt. Die Toggenburger erreichten ihr Ziel, ein selbständiger Ort der Eidgenossenschaft zu werden, nicht; denn es war, wie ihnen die Zürcher erklärten, nicht Brauch, die Bauern zu Herren zu machen. Die kirchlichen Angelegenheiten besorgte der Pfarrer von Rorschach, Dekan Georg Schenkli, den der Abt zum Vize-Offizial ernannt hatte.

Die 70 Konventualen mussten sich in verschiedene süddeutsche Klöster verteilen und bewahrten, so gut es ging, den Zusammenhang mit dem in Neu-Ravensburg weilenden Abte. Dieser hoffte, nachdem er in so trauriger Weise von den katholischen Orten beim Friedensschluss im Stiche gelassen worden war, alles vom Kaiser, der auch die Angelegenheit auf dem Reichstage vorbrachte. Aber Zürich und Bern verstanden es, durch die protestantischen Reichsstände zu erwirken, dass der Reichstag diese Frage fallen liess. Da aber die Alte Landschaft immer mehr sich nach den alten Herren zurücksehnte und die Sieger des beständigen Haders im Toggenburg müde wurden, anderseits aber auch die Konventualen beim Abte auf Heimkehr drängten, wurden im Herbste 1713 endlich Friedensverhandlungen eingeleitet, die Baron von Thurn für den Abt in Rorschach führte. Am 24. März 1714 kam ein Vertrag zustande, dem aber Abt Leodegar in der Folge seine Zustimmung verweigerte, da er um keinen Preis Land an die Stadt St.Gallen abtreten und noch weniger den Toggenburgern Anteil an der Regierung zugestehen wollte. Auch verlangte er vollen Schadenersatz und Einsetzung in seine alten Rechte. Der Abt setzte dabei wohl einige Hoffnung auf den 1714 zu Baden stattfindenden Friedenskongress zwischen dem Kaiser und Frankreich; aber diese Hoffnungen schlugen fehl, weil der Kaiser eben dort nicht in der Lage war, einen grösseren Druck auszuüben. Wohl verwandte er sich auch später für die Abtei; aber jetzt rächte es sich fortwährend, dass man einst Frankreich so schroff abgewiesen hatte. Schliesslich erlangte er durch englische Vermittlung, dass 1716 von Seite Berns die Friedensfrage wieder neu angeregt wurde. Man war eben allerseits der unhaltbaren Zustände müde. Während man sich noch über den Ort der Verhandlungen beriet, starb Abt Leodegar in Neu-Ravensburg am 18. November 1717, 78 Jahre alt. Er fand seine letzte Ruhestätte im Kloster Mehrerau, an der Seite seines Vorgängers, Abt Kilian Germann, der gleichfalls im Exil verstorben war.

Ganz richtig bemerkt Scheiwiler: «Fürstabt Leodegar Bürgisser gehört zu jenen Persönlichkeiten, deren Bild mit verzerrten Zügen in die Annalen der Geschichte eingetragen ist. Wäre seiner Regierung der äussere Erfolg beschieden gewesen, man hätte ihn vielleicht den grossen Äbten des Klosters St.Gallen beigezählt.» Die unparteiische Geschichtsschreibung hat da manches wieder gut zu machen, wenn sie auch den Abt wohl nie ganz von einem allzu starren Festhalten an seinen Rechten wird freisprechen können.
Geographische Angaben:von Luzern